Die Schwammstadt - natürlicher Wasserkreislauf in Städten
Text von
Gabriela Burri
veröffentlicht 22.03.2023
aktualisiert 13.03.2024
veröffentlicht 22. März 2023
| aktualisiert 13. März 2024
7 min. Lesezeit
Man kann sagen: Nicht ganz dicht ist ganz gut für Städte. Eine Schwammstadt (Engl. Sponge City) hat zum Ziel, in stark besiedelten Gebieten zu einem natürlicheren Wasserkreislauf zurückzukehren. Das Prinzip der Schwammstadt ist relativ einfach: Regenwasser wird lokal im Boden aufgenommen und wie in einem Schwamm gespeichert, anstatt es in die Kanalisation abzuleiten. Dadurch werden Überflutungen bei Starkregen vermieden und das Stadtklima generell verbessert. An Hitzetagen verdunstet das Wasser und sorgt für Abkühlung. Damit dies gelingt müssen Plätze vermehrt aus sickerfähigen Oberflächen gebaut werden. Offenporige Pflästerungen sind ein Beispiel dafür.
Grüne Dächer, unterirdische Mulden
Neben der Entsiegelung der Flächen braucht es in der Schwammstadt zusätzliche Grünflächen. Zum Beispiel Grasabschnitte zwischen Strasse und Trottoir, teilbegrünte Parkplätze oder bepflanzte Dächer. Diese Flächen nehmen Wasser auf, das später verdunstet. Dienlich sind auch Baumwurzelraumschutzsysteme. Dafür werden Bäume in grosse Mulden gepflanzt, in denen sie ihre Wurzeln entwickeln können. Diese Mulden sind auch für die Versickerung von Wasser nützlich und fördern die langsame Verdunstung.
Schwammstadt-Initiative
Mit der strategischen Initiative «Schwammstadt» will der Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute VSA die Gemeinden unterstützen. Das dreijährige Projekt startete im März 2022. Ziel des VSA ist es, dass das klimaangepasste Wassermanagement in der Schweiz zum nachhaltigen Standard wird.
«Wir können Städte vor Unwettern schützen»
Professor Tobias Baur ist seit 2021 Professor für Landschaftsgestaltung an der Fachhochschule OST in Rapperswil. Seit über 20 Jahren befasst er sich mit dem Thema Siedlungsentwässerung. Im Interview erzählt er, wie das Konzept Schwammstadt unsere Städte verändert.
Professor Baur, warum beschäftigen Sie sich mit dem Thema Schwammstadt?
Es ist für mich eines der spannendsten Themen überhaupt. Früher war man als Landschaftsarchitekt eher für die Dekoration der Freiräume in einer Stadt zuständig. Heute ist klar: Die Landschaftsarchitektur gibt den Räumen Funktion und die Gestaltung macht Sinn. Wir können mit unserer Arbeit die Lebensqualität in den Städten verbessern, Freiräume nutzen und durch die richtige Planung auf die zunehmenden Klimaveränderungen wie Starkregen oder Hitze reagieren.
Die Klimaerwärmung schreitet voran. Kommen unsere baulichen Massnahem nicht schon zu spät?
Es ist nie zu spät. Wenn wir jetzt sagen: «Es ist zu spät und wir können nichts mehr tun», haben wir eine grosse Chance vergeben. Natürlich ist es wichtig, den Städtebau im Hinblick auf die Veränderung des Klimas frühzeitig zu planen, aber auch bei bestehenden Infrastrukturen können wir Lösungen finden. Der Klimawandel ist durch die Starkregenereignisse und Hitzeinseln in den Städten deutlich sichtbar – für jedermann.
Weshalb ist es so wichtig, dass Wasser versickern kann?
Wenn wir über Schwammstadt sprechen, geht es darum, einen möglichst natürlichen Wasserkreislauf wiederherzustellen. Hierzu muss man Verdunstung, Ableitung und Versickerung betrachten. Die Versickerung spielt dabei eine genauso wichtige Rolle wie die Verdunstung. Dazu kommt: Die Regenintensität nimmt zu. Wir müssen das Regenwasser von der Kanalisation fernhalten, damit wir diese Infrastruktur nicht neu und grösser bauen müssen. Das funktioniert. Wir haben schon Siedlungen geplant und gebaut, wo gar kein Regenwasser mehr in die Kanalisation gelangt.
Welche Oberflächen eignen sich für die Schwammstadt?
Die Böden sollen möglichst wenig verdichtet sein. Es gibt wasserdurchlässige Oberflächen, auch von CREABETON. Diese eignen sich vor allem für die Gestaltung von Plätzen, Gehwegen oder im privaten Bereich. Wichtig ist einfach, dass der Oberflächenabfluss so gering wie möglich ist. Das funktioniert mit wasserdurchlässigen Belägen mit hoher Versickerung am besten.
Warum sind Bäume so wichtig in einer Schwammstadt?
Bäume sind eine Klimamaschine. Sie sind in Bezug auf ihre Versickerungs- und Verdunstungsleistung fast unschlagbar. Sie sorgen für Verdunstungskühle und spenden Schatten. Was wir leider feststellen: Für einheimische Bäume kann es mit der Klimaerwärmung zu trocken werden. Hier stehen Alternativen zur Diskussion. Zum Beispiel das Pflanzen von Bäumen aus wärmeren Vegetationszonen.
Weshalb setzt sich das Schwammstadt-Modell nicht schneller durch?
Neues braucht immer Zeit, so auch ein für die Schweiz recht neues Konzept der Siedlungsentwässerung. Momentan läuft aber sehr viel. Viele Schweizer Städte befassen sich mit dem Thema und planen Projekte. Mehr Grün in den Städten heisst jedoch gleichzeitig mehr Aufwand. Das kostet Geld. Ein begrünter Parkplatz ist aufwändiger zu bewirtschaften als ein asphaltierter oder betonierter. Bäume produzieren Laub und müssen geschnitten werden. Auch Rasenflächen und Wiesen brauchen konstante Pflege. Hier ist es wichtig, die Kosten nicht eins zu eins zu vergleichen, sondern den Mehrwert der Schwammstadt zu sehen.
Tobias Baur, Sie lebten und arbeiteten zehn Jahre als Landschaftsarchitekt in Singapur. Kamen Sie dort auch in Kontakt mit dem Thema Schwammstadt?
Die Schwammstadt war sogar die Motivation dafür, nach Singapur zu ziehen. Der Stadtstaat ist enorm fortschrittlich im Umgang mit Regenwasser. Dies, weil das Wasser dort so knapp ist. In Singapur ist jeder Tropfen Wasser wertvoll und wird möglichst sinnvoll genutzt. Zum anderen hat die Stadt in den Tropen schon seit vielen Jahren mit Starkregenereignissen zu kämpfen.
Vom Bodensee über Singapur an den Zürichsee
Tobias Baur stammt aus Überlingen DE am Bodensee und startete seine Laufbahn beim international tätigen Büro für Landschaftsgestaltung Ramboll Studio Dreiseitl. Später wurde er Partner und Teamleiter der Niederlassung in Singapur. Dort lebte er zehn Jahre und unterrichtete gleichzeitig im Masterstudiengang für Landscape Architecture an der National University of Singapore.
Das sagen Expertinnen und Experten
Michael Pfister
Professor für Bauingenieurwesen, Hochschule für Technik und Architektur Fribourg
«Unsere Siedlungen mit ihren wasserdichten Oberflächen verändern den natürlichen Wasserkreislauf. Das Regenwasser wird nicht mehr im Humus gespeichert, um später zu versickern oder zu verdunsten, sondern direkt abgeleitet. Ein kleiner Schritt ‹rückwärts› in Richtung Schwammstadt valorisiert nicht nur das Wasser in der Stadt, sondern bringt auch die Grünflächen zurück. Ist das nicht eine schöne Perspektive?»
Brigitte Kisseleff
Projektleiterin Entwässerungsplanung, Ensorgung + Recycling Zürich
«Um uns zukünftig besser gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu wappnen, sind die Siedlungsentwässerung und die Stadtplanung gefordert, ihre Planung interdisziplinär anzupassen. Das Regenwasser soll nicht mehr schnellstmöglich unterirdisch abgeleitet werden, sondern oberflächennah zurückgehalten und den Pflanzen über längere Zeiträume verfügbar gemacht werden. Mit einer wassersensiblen Stadtplanung wird neben dem Beitrag zur Hitzeminderung auch die Gefahr von Überflutungen minimiert sowie die Belastung von Gewässern durch entlastetes Mischabwasser in starken Regenereignissen reduziert.»
Markus Gresch
Bereichsleiter Wasser, Hunziker Betatech
«Schwammstadt: Alter Wein in neuen Schläuchen? Viele Überlegungen zum guten Umgang mit Regenwasser könnten wir bei unseren Grosseltern lernen. Wir müssen sie allerdings in unser heutiges Umfeld und damit in eine verdichtete Siedlungsstruktur und in eine Gesellschaft mit geringerer Risikobereitschaft übertragen. Das bedingt nicht nur gute technische Lösungen, die Versickerung, Retention und Verdunstung fördern, sondern ein Umdenken bei allen Aktivitäten, die unseren Raum beanspruchen.»
Sarah Schäfer, Projektleiterin, CREABETON
«Auch wir von CREABETON können mit unserer langjährigen Erfahrung im Bereich ‹Blau-Grün-Grau› einen Mehrwert zum Thema Schwammstadt bieten. Vernetzt denken ist uns nicht neu. Mit unserer Forschungs- und Entwicklungsabteilung sowie in Zusammenarbeit mit Hochschulen und Fachspezialisten anderer Branchen haben wir bereits Produkte entwickelt, welche nun am richtigen Ort platziert werden müssen.»
Adrian Forrer
Leiter Nachhaltigkeit, MÜLLER STEINAG Gruppe
«Die Schwammstadt ist ein wunderbares Beispiel nachhaltiger Lösungsfindung. Das Konzept Schwammstadt fördert die Kollaboration von der Planung, über die Ausführung bis hin zum Unterhalt der Baumassnahme. Als Schweizer Anbieterin von Betonwaren leisten wir einen wichtigen Beitrag zum praxisorientierten Bündeln von Wissen und Erfahrung zwischen Fachpartnern und Hochschulen. Das Fördern und Vorantreiben nachhaltiger Baukonzepte mit dem Einsatz vorfabrizierter Betonprodukte ist Teil unserer Nachhaltigkeitsstrategie. Deshalb investieren wir in die Forschung und Entwicklung «unseres» Baustoffes, von der ressourcenschonenden Herstellung bis hin zum werterhaltenden Recycling. Qualitativ hochwertig vorfabrizierter Beton mit seinen Eigenschaften wie Robustheit, Langlebigkeit und Rezyklierbarkeit leistet einen jahrzehntelang wirksamen Beitrag bei der Materialisierung im Bau. Wir verstehen vorfabrizierte Betonprodukte deshalb als nicht wegzudenkenden Teil einer erfolgreich ausgeführten Schwammstadt.»